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Der Altfränkische Wengert, ein Lebensraum der besonderen Art von Herbert Haas

Eingebettet in das unter Landschaftsschutz stehende Mostkissen Pfülben (mhd. pfülwe = Kissen) liegt hoch über dem Maintal der Altfränkische Wengert als Teil eines etwa 45 a großen naturbelassenen Reviers, das Mitte der achziger Jahre als Ausgleichsfläche im Rahmen der Umlegung ausgespart wurde. Eine größere Schutzzone mitten in den Ertragsparzellen? Das war nach fünfundzwanzig Jahren Weinbergsbereinigung auf Randersackerer Flur durchaus neu - und befremdlich. Am dorfnah gelegenen Pfülben konnte man sehr gut den Fortschritt der Planierarbeiten beobachten und feststellen, dass bis auf einige belassene Schilder alles recht ordentlich hergerichtet war. Und tatsächlich, wenn man die geschobene Pfülbenflanke bar aller Bewirtschaftungshindernisse betrachtete: Irgendwie passte zur neuen Pfülbenglätte das geschonte Geviert mit den unordentlichen Hecken und den maroden Mauern wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Stimmen wurden laut, die Pfülbenaussparung sei Landschaftsverschandelung und Vergeudung wertvollsten Weingeländes. Einige wenige erkannten das zentrale Biotop als wertvolle ökologische Oase inmitten der uniformen Einheitsflur. In dieser irritierenden Stimmungslage von Enttäuschung und Zuspruch wurde die Idee mit dem Museumsweinberg geboren. Zunächst war klar, daß ohne Nutzungskonzept die kostenträchtigen Mauersanierungen dem Markt Randersacker auf Jahre hinaus wohl teuer zu stehen kämen. Gelänge es aber, für das Öko-Karree eine sinnvolle Nutzung zu finden, gäbe es mit Sicherheit auch eine Finanzierung. Damals flossen für Landschaftspflege die staatlichen Mittel noch reichlich.

Idee, Planung und Finanzierung

Nur zögerlich kamen Bestrebungen in Gang, in der Bockbeutelmulde Randersacker eine weingeschichtliche Dokumentation aufzubauen. So wurde zwar ein Museum mit historischen Geräten erwogen, an einen Museumsweinberg hatte jedoch noch niemand gedacht, obwohl es doch wichtig schien, in der ausgeräumten Flur eine ökologische Nische zu schaffen, die Großvaters Weinberg anschaulich zeigen könnte. Diese Nostalgiepflanzung sollte nicht in Konkurrenz zu den umgebenden Ertragsflächen stehen, sondern den Lebensraum Weinberg reflektieren, wie er Hunderte von Jahren gang und gäbe war. Abgesehen von den historischen Rebsorten, der Pflegeart und der extensiven Anbauweise sollte der äußere Rahmen aus den vertrauten landschaftsprägenden Elementen bestehen. Im einzelnen waren das die Schildmauern, die Treppensteige, ein Lesesteinriegel sowie Kreuzschlepper und Dreifaltigkeitsbildstock als fromme Flurdenkmäler weinfränkischer Kulturlandschaft.

Das Rebenreservat sollte eine schmalzeilige Anlage sein, mit wurzelechten Rebsorten in pfahlunterstützter Kopferziehung. Zur Auswahl stand ein "Frentsch", der früher übliche fränkische Qualitätsmischsatz, mit etwa 75% Riesling, 15% Traminer und ergänzenden Rebsorten wie Blauer Spätburgunder, Blauer Trollinger, Grüner Silvaner, Gutedel, Muskateller, Ruländer und Weißer Elbling. "Früher waren in diesem Sortiment einige rote Traubensorten unverzichtbar, beispielsweise der Blaue Spätburgunder, dessen Blattwerk bei der Herbstfärbung jenen heiteren, malerischen Akzent setzte, der das mainfränkische Laubtuch so auszeichnete. Außerdem war es üblich, bei der Neuanlage eines Weinbergs mehrere Sorten zu pflanzen. Sollte eine Rebart infolge Winterfrost, Spätfrost und/oder Störungen zur Blütezeit ausfallen, konnten die anderen Sorten solche Anfechtungen besser verkraften und noch einen Ausgleich im Ertrag bringen. Der gemischte Satz hatte also das Ziel, den Ertrag zu sichern. Die Träubel von Gutedel und Blauem Burgunder wurden ausgeschnitten und in Körben, schön präsentiert, zum Verkauf angeboten. Solche Tafeltrauben standen bei der "Herrschaft" hoch im Kurs. Weine des Qualitätsmischsatzes von Riesling und Traminer zählten zu den berümtesten Kreszensen der guten alten Zeit, wozu der renomierte Pfülben sein übriges, weinförderndes tat" (F. Lippe). Zum Gedenken an Sebastian Englerth, den fränkischen Weinbaupionier, wurden etliche Zeilen mit der von ihm gezüchteten Bukettrebe eingeplant, eine Rebsorte, die auf einer Mutation des Silvaners basieren soll (H.Breider). Die untrennbar mit dem Lebensraum Weinberg verbundene Begleitflora würde sich, das waren die Erwartungen, selbstverständlich im Laufe der Zeit von ganz alleine einstellen. Längst ausgerottete Zwiebelpflanzen wie Weinbergstulpe, Nickender Milchstern, Traubenhyazinthe, Ackergoldstern, Lauchsorten und die Iris germanica konnten von Versandgärtnereien beschaffen werden. Seltene Stauden wie Judendolde, Nieswurz und Osterluzei, Sträucher wie Johannisbeere und Bibernellrose sowie je ein Quitten- und Pfirsichbaum runden das Pflanz- und Wiedereinbürgerungskonzept ab. Die Planung, von F.Lippe fachlich abgesichert, stand. Der Landkreis und die Flurbereinigungsdirektion waren bereit, den Löwenanteil der Kosten zu übernehmen. Teuer war vor allem die Instandsetzung der Mauern. Die Anlegung des Wengerts fiel nicht so sehr ins Gewicht. Die Sitzecke und die beiden Flurdenkmäler hatten aber schon ihren Preis. Nachdem der Verfasser mit seinem privatem Vermögen eine Pflegegarantie für den Altfränkischen Wengert abgegeben hatte, waren tatsächlich alle, ja wirklich alle Barrieren beseitigt. Der Wengert als richtungsweisende Investition konnte angelegt werden.

Realisierung und Pflege

Im Juni 1988 fand unter reger Anteilnahme von Prominenz und Bevölkerung die Einweihung des frischgepflanzten Bocksbeutelsbiotops statt. Interesse und Neugierde waren groß; was Wunder, galt doch diese revitalisierte Vitikulturstätte weit und breit als die erste ihrer Art. Um den Wengert besucherfreundlich zu gestalten, wurde noch eine Sitznische mit staudenbestückter Quadermauer angebaut. Darüber rankt hangwärts ein Heckenschirm aus Hartriegel und Liguster, der die Emissionen angrenzender Ertragsparzellen wegpuffern soll.

Für die Pflege der insgesamt 650 Rebstöcke wird auf synthetische Pflanzenschutzmittel, Mineraldünger, Klärschlamm und den Einsatz von Großmaschinen verzichtet. In den folgenden Jahren wurde der Altfränkische Wengert intensiv betreut und der Jahresablauf minutiös protokolliert. Die zeitraubende Handarbeit ist ein kostenträchtiger Faktor auch bei diesem relativ kleinen Wengert. Die manchmal doch recht mühselige Bearbeitung erfolgt nach historischen Vorgaben. "Bevors naus Schneida gäht, wara im Frühjahr die Häpter gerämt, die Pfähl mitn Lüfthammer neigschloga und die Raba, wenn gschnieda it, mit Wiedli niedergezouga. Im Summer wörd gebracht und arg oft geschprützt. Im Härwest künnt gelasa und übern Winter wörd mitn zwäzinkeda Koorscht ghackt." Oberste Richtschnur ist uns die bewahrende Weiterentwicklung des botanischen Weingartens. Die unerlässliche Unkrautbekämpfung kann nur punktuell und mit Umsicht geschehen, Quecken sind - und waren es zu allen Zeiten - ein großes Problem. Um es öko-ideologisch zu sagen: Es gibt zwar ausschließlich Wildkräuter im Wengert, aber die wildwuchernde, artegoistische, quicke Quecke verleitet schon mal dazu, den Begriff Unkraut bewusst zu wählen! Weil keine Herbizide angewendet werden, fanden inzwischen an die hundert unterschiedlichen Gräser, Pflanzen und Stauden eine Heimstatt. Diese vielartige Pflanzenwelt lockt als wichtige Nahrungsgrundlage zahlreiche Wildbienen an, die zumeist auf der roten Liste stehen. Attraktiv ist der "stockkonservative" Wengert im April, wenn einige tausend Exemplare der Weinbergstulpe ihre goldgelbe Pracht entfalten. Es handelt sich allerdings um eine zweiblütige Unterart, die eigentliche Weinbergstulpe ist einblütig und kräftiger im Habitus. Von den anderen Zwiebelpflanzen, die dem blumigen Weingarten zur höheren floristischen Ehre gereichen, haben nur Traubenhyazinthe sowie die Lauchsorten Allium vineale und sphaerocephalon überdauert. Ackergold- und Milchstern gingen ein. Als ungewollte, jedoch interessante Florenverfälschung registrierten wir die bei der Weinbergstulpe irrtümlich mitgelieferte Tulipa saxatilis, eine kleinwüchsige Sorte, die sich inzwischen auf 25 Horste vermehrte und wunderschön lila blüht, desweiteren einige Tulipa turkestanica. Wenn im Sommer der Wiesenbocksbart, viele Färberkamillen, kraftstotzende Königskerzen und andere Stauden der Vitis vinifera blütenreich zur Seite stehen, kann man sehr wohl die Faszination eines naturnah gepflegten Weingartens erleben und verstehen.

Mengen und Qualität

Anno 1990 hat das altfränkische Aushängeschild seinen Jungfernwein ausgetragen. Die 92 Grad Oechsle waren uns eine vielversprechende Verheißung.

Im Jahresdurchschnitt von 1992 bis 1998 wog der Qualitätsmischsatz 85 Grad Oechsle und brachte mit seinen 485 Rebstöcken einen durchschnittlichen Ertrag von 0,65 l/Stock, insgesamt an die 315 Liter. Das entspricht 50 hl/ha - eine Menge, die früher im gemischten Qualitätssatz als gute Ernte galt (F. Lippe). Die Bukettrebe mit ihren großen Trauben und prallen Beeren befriedigte die Erwartungen in puncto Qualität (noch) nicht. Der mehrjährige Durchschnitt liegt bei 77 Grad Oechsle, also deutlich unter dem Qualitätsmischsatz. Mengenmäßig brachte die Bukettrebe jährlich 0,82 l/Stock und liegt somit deutlich über dem Mischsatz. Gegenüber den Ertragsweinbergen weisen die altfränkischen Erntemengen stärkere Schwankungen auf. So betrug beispielsweise die Lese 1998 nicht einmal 50 % der des Vorjahres, entsprach aber ziemlich genau dem Ergebnis von 1996. Eine tabellarische Übersicht der Niederschlagsmengen von 1997 und 1998 gibt Aufschluß:

l/m² Juni Juli Aug. Sept. Okt.
1997 83,50 174,50 14,50 15,00 47,00
1998 59,50 24,00 28,50 101,00 176,00

Wetterextreme, wie sie das Jahr 1998 zeigte, nämlich zwei Monate zu trocken, anschließend zwei Monate zu nass, schlagen im Altfränkischen Wengert grundsätzlich negativ zu Buch. Zum einen entzog die üppige Begleitflora im wolkengrauen, aber regenarmen Juli sowie im heißen und ebenfalls trockenen August dem Rebstock das notwendige Wasser und zum anderen bedingten Stauden und Pflanzen im Verein mit der Kopferziehung während der übermäßig regenstarken Monate September und Oktober ein dauerfeuchtes Milieu, das tiefhängende Trauben verfaulen und verschimmeln ließ. Statt Träubel wurden fast nur "Gschlamper und Mäus" gelesen. Gleichwohl, der besondere Wein des Qualitätsmischsatzes überzeugt. Die Säurespitze des Rieslings wird durch die 25 % anderen Rebsorten gemildert. Der Wein mundet voller und runder. Die Bukettrebe blieb uns bisher ein weingeschmackliches Aha-Erlebnis schuldig. Zumindest hat uns auch hier der übermäßige Herbstregen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der liebe Gott sollte also beim Altfränkischen Wengert schon etwas mehr Einsicht zeigen und künftig Gnade vor Wetter ergehen lassen.

Fazit

"Der Weinbau in den Steillagen unserer Breiten stellt eine über tausendjährige Kulturleistung hohen Ranges dar" (T.Breuer). So, wie die heutigen, von Maschinen geschaffenen, bereinigten Anlagen eine beachtliche Ingenieurleistung erkennen lassen, war das vormalige, weinfränkische Kleinflächenmosaik mit seinen Terrassen, Steinrutschen, Wassertreppen und Hohlwegen das Ergebnis mühevoller und entbehrungsreicher Handarbeit, geprägt von handwerklichem Geschick und technischem Erfindungsreichtum. "Unsere heutige Weinkultur hat ihre Wurzeln vor allem in der vergangenen Weinbergskultur" (T.Breuer). Weil es aber kaum noch historische Rebungen gibt, wollten wir in Randersacker, am Flaschenhals der Bocksbeutelstraße, auf uraltem Kulturboden eine solche Bewahranstalt für Vitisveteranen ermöglichen. Der Altfränkische Wengert hat sich als handgearbeitetes Vorzeigestück in den fünfzehn Jahren seines Bestehens zur touristischen Attraktion entwickelt. Mit dem Wengert demonstrieren wir naturnahen, althergebrachten Weinbau mit flora- und faunafördernder Landschaftspflege und wir praktizieren modernen, kulturbewahrenden Naturschutz im weinberühmten Randersacker.

Quellen: Hans Breider, Das Buch vom Frankenwein, 1982 Tilman Breuer, Weinberge als Denkmäler, 1983 Herbert Haas, Der Pfülben..., 1985 Friedrich Lippe, Sebastian Englerth, 1980